Club-Tour (Originalartikel aus dem Stadtstreicher-Archiv von 2005)
Neue Club-Projekte in Chemnitz und Zwickau legen die Vermutung nahe, das Nachtleben könnte plötzlich abwechslungsreicher werden. Schauen wir mal.
Neue Club-Projekte in Chemnitz und Zwickau legen die Vermutung nahe, das Nachtleben könnte plötzlich abwechslungsreicher werden. Schauen wir mal.
Noch vor einem halben Jahr schien der totale Untergang besiegelt. Die Schließung des Clubs achtermai war nicht mehr abzuwenden, das Voxxx hatte noch Frist bis 31. Dezember, und auch beim Atomino war sich der Vermieter keineswegs sicher, ob er 2005 weiter mitspielt. Schon wurden Horror-Szenarien entworfen: Die drittgrößte Stadt im Freistaat, das wichtige Oberzentrum in Westsachsen versinkt endgültig im Provinzmief.
Kein irgendwie aktiver Mensch unter 40 Jahren wird seine Koffer nach Chemnitz tragen. Wer nicht schon weggezogen ist, braucht mindestens ein schnelles Auto, um die Abendunterhaltung in anderen Städten zu suchen. Die Depression war schwer. Doch nun kommt alles anders. Das Voxxx macht munter weiter, das Atomino auch. Und der achtemai ist einfach umgezogen. Allerdings ist solch ein Ortswechsel immer riskant. Manch einer erinnert sich wohl noch an die Zeit, als das Voxxx wegen Bauarbeiten vorübergehend den angrenzenden Flachbau bespielte: Es funktionierte nicht.
Denn die neue Location muss den Vorgänger dringend toppen, sonst ist die Szene womöglich enttäuscht. Aber wie lässt sich ein erfolgreicher Club noch geiler machen? Durch Hightech oder Gemütlichkeit? Durch Perfektion oder unvollendete Kunstwerke? Wahrscheinlich gibt es kein Metier, das so unberechenbar ist, wie das Geschäft der Clubbetreiber. Besonders auffällig ist das im Aether-Club. Kaum ein anderer Veranstalter verwöhnt das Publikum seit drei Jahren mit derart feinen und vor allem ständig wechselnden Deko-Ideen wie die Crew aus der Schönherr-Fabrik. Auch musikalisch ist erstklassiges angesagt - und doch lässt sich nicht behaupten, dass der Laden brummt. Woran das liegt? Niemand kann es genau sagen. Offensichtlich hat es aber damit zu tun, dass Chemnitz niemals eine pulsierende Clublandschaft besaß. Die Lust auf den Szenetreff mit spezieller musikalischer Ausrichtung ist nie geweckt worden, die Alternative zum Mainstream nicht in den Köpfen. Sicher hat es Ende der 90er mit dem Brixen-Club, dem Zoom, der Hof-Bar oder dem Lait Solaire schon mal wichtige Versuche gegeben, das Nachtleben der Stadt etwas abwechslungsreicher zu gestalten, doch durchgehalten haben sie alle nicht.
Dafür begann die große Ära der Partyveranstalter. Olaf Walter, Betreiber des Club FX, ist schon Jahrzehnte im Geschäft, hat alle Höhen und Tiefen der Branche erlebt und eine ganz einfache Erklärung für diesen Trend: „Die großen Diskotheken haben es schlichtweg versäumt, sich auf aktuelle Entwicklungen in der Musik einzustellen. Techno haben sie beispielsweise komplett ignoriert. Hinzu kam, dass sie immer perfekter wurden und immer mehr reglementierten. Man kam nur noch mit den richtigen Schuhen rein, den richtigen Hosen…
Dagegen boten die Partyveranstalter in alten Fabriken eine ungezwungene Atmosphäre jenseits der eingefahrenen Diskostrukturen." Vorreiter in Chemnitz war die IG Techno. Schon Anfang der 1990er organisierten die Verfechter des „unpopulären" Musikgeschmacks illegale Parties in der Fahrzeugelektrik auf dem Sonnenberg, später folgten allerhand Tanzveranstaltungen an legalen Orten. Inzwischen haben andere das Feld übernommen, es hat sich auch vieles verändert. Kaum eine Party kommt noch mit einem einzigen Floor aus, alle träumen vom Großereignis. Vor allem im Sommer jagt ein Mega-Event das nächste.
Aber auch in diesem Metier sind schon viele gescheitert. Die einen, weil sie glaubten, ohne viel Aufwand viel Geld machen zu können. Die anderen, weil sie die Investitionen unterschätzt haben, die nötig sind, um aus einem x-beliebigen Ort eine Party-Location zu machen, die die Leute be-geistert. Doch ohne das gewisse Etwas läuft nichts - zumindest nicht auf Dauer.
Schon seit über fünf Jahren beweist dagegen die Fiesta Crew, wie es geht. Was immer sie anpackt, die Leute wissen, worauf sie sich einlassen. Denn Fiesta ist mittlerweile Marke, und dafür haben die Macher in all der Zeit viel getan: niemals schlechter Sound, niemals dünne Drinks, niemals langweiliges Barpersonal. Das bringt die Stammgäste, und Leute ziehen Leute. So simpel, wie es klingt, ist es freilich nicht, aber grundsätzlich gilt: In wirtschaftlich schlechten Zeiten sind die Leute nicht ganz so experimentierfreudig. Sie sehnen sich nach Sicherheit und übertragen das auch auf ihr Freizeitverhalten. Sie wollen bekanntes: musikalisch wie örtlich.
Kein Wunder also, dass das Nachtwerk in Zwickau soeben den sechsten und das Sachsen Center in Stollberg den achten Geburtstag feierte. Ganz zu schweigen von der Linde in Leubnitz, die seit strammen 22 Jahren durchstartet. Die Häuser sind einfach Institutionen, feste Adressen mit garantiert hohem Spaß-Faktor. Und das liegt am Faible der Macher für Glamour, fürs Spektakuläre, für das kleine Extra. Darüber hinaus haben sie genug Erfahrung, was die Leute wirklich antörnt. Da nehmen sich erfolgreiche Disko-Betreiber und Party-Veranstalter wenig.
Club-Besitzer ticken hingegen ganz anders. Sie wollen die Alternative zum Mainstream bieten, wollen für eine ganz bestimmte Szene da sein, „in Familie" feiern. Und das scheint ungleich schwerer, zumindest in Chemnitz.
Vor drei Monaten eröffnet, soll der Cube-Club zur Heimat des Drum and Bass werden. „Dass das nicht leicht wird, haben wir gewusst", sagt Carsten Tanneberger. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass es richtig hart wird. „Wir hatten keine Lust mehr auf diese Speisesaal-Parties und wollten schon lange etwas eigenes machen. Dann gab's irgendwann diese Location, zu der uns der Vermieter ein gutes Angebot machte. Groß nachgedacht, ob es jetzt gerade günstig wäre, einen Club zu eröffnen, haben wir nicht." Also haben sie's gemacht, ohne viel Geld, doch mit viel Herz. Und jetzt die Ernüchterung. „Wir brauchen viel Geduld. Die Szene muss sich erst finden." Die Unternehmung ist nicht aussichtslos, denn nach wie vor gibt es auch genug Leute, die noch speziell wegen der Musik unterwegs sind. Die offen sind, für neue Sounds und interessante Entdeckungen. „Die Trends laufen parallel", meint Olaf Walter. „Es gibt Leute, die wollen am Samstagabend eine große Auswahl an Jungs oder Mädels, die sind zum Flirten und Spaß haben unterwegs. Und es gibt die anderen, die sich lieber im kleinen Rahmen mit all denen einfinden, die wie sie selbst eine spezielle Musikrichtung mögen.
Das hat im Club achtermai wunderbar funktioniert, und das geht auch im Atomino. Jan Kummer, der den Laden nun schon seit sechs Jahren schmeißt, kam eher zufällig in Versuchung. Denn als der Keller noch „Dr. Dr. Bartholdy" hieß, legte er dort manchmal Platten auf. Bis zur Schließung. Damals wurde er gefragt, ob er den Club nicht weiter betreiben will, und wie er so ist, hat er's eben probiert. „Wir versuchen, interessante Angebote zu machen, ein breites Spektrum zu bieten. Ausgenommen sind nur HipHop und Reggae, das läuft schon überall. Natürlich spielen da private Vorlieben der Macher mit hinein. Aber grundsätzlich gilt: Alles, was eine gewisse Originalität mitbringt, passt ins Atomino." Und wenn mal eine Veranstaltung gar nicht läuft, auch nicht so schlimm. So hoch sind die laufenden Kosten nicht.
Überhaupt nimmt's Jan Kummer sehr gelassen. In Chemnitz habe man es als Clubbetreiber zwar nicht immer leicht, aber die Stadt biete auch einige Vorzüge. „Es gibt so wenig Angebote und Al-ternativen, da ist noch viel möglich. Außerdem sind hier die Mieten noch erschwinglich, so dass man in Ruhe etwas aufbauen und ausprobieren kann.“
Vorausgesetzt: Es lässt sich überhaupt ein geeignetes Objekt finden. Vier Jahre hat Sylvio Schubert gesucht, bis der Mietvertrag für die ehemalige Leiser-Filiale unterschrieben war. „Ich bin jetzt seit über zehn Jahren in Chemnitz unterwegs. Irgendwann nervte es einfach, diese Großraum-Muggen und dieser Teenie-Scheiß, das hat mich überhaupt nicht mehr gehypt. Und wie mir geht es vielen, die seit Anfang der 90er alle Höhen und Tiefen mitgemacht haben." Die logische Konsequenz: Ein eigener Club. Schick ist er geworden, ein echter Treffpunkt für Erwachsene. Nun muss er nur noch laufen, denn da steckt sichtlich Geld drin. „Ich denke, mit dem musikalischen Konzept, das wir fahren, lässt sich der Club etablieren. Wir besetzen eine Nische, die in der Stadt noch fehlt." Das heißt: Elektronische Melodien in allerlei aufregenden Spielarten, dazu jazzige, funkige Sounds oder gediegene Discoklänge.
Bei aller Hoffnung, Chemnitz könnte doch noch zu einer echten Clublandschaft kommen, fällt natürlich die Schließung des Stadtkellers wieder ein.
Klar, vor Problemen mit dem Vermieter ist keiner gefeit, aber so eine größenmäßig noch überschaubare innerstädtische Diskothek gehört einfach zum guten Ton. „Wir würden auch sofort an anderer Stelle wieder eröffnen“, sagt der einstige Betreiber Thomas Otto. Doch bislang ließ sich keine geeignete Location finden, um die 35 Jahre alte Institution wieder entstehen zu lassen. Im Klartext: Auch er hat vom ach so harten Chemnitzer Pflaster noch nicht genug.
Ebenso wenig wie Olaf Walter, der den Karl-Marx-Städter Studentenclub „Fuchsbau" in die neue Zeit rettete. Mittlerweile ist der Club FX wieder zur angesagten Adresse aufgestiegen, vor allem mittwochs zum „Big Spender" gerät der Laden regelmäßig in Ekstase. Und das nicht, weil der Stadtkeller geschlossen hat. Die Leute sind ganz andere. „Wir haben uns natürlich schon etwas dabei gedacht, als wir dieses Angebot geplant haben. Das es nun auch funktioniert, um so besser", sagt Olaf Walter sehr entspannt. Er ist überhaupt ganz zuversichtlich. Und das will bei seiner Erfahrung schon etwas heißen. „Dass die Zeiten besser werden, lässt sich nicht nur daran ablesen, dass die Leute wieder Mut haben, Clubs zu eröffnen. In der Gastronomie gibt's derzeit auch so einen Schub. Projekte wie das Brauhaus oder das Brazil hätte vor Jahren noch keiner angefasst."
Auch Mirko Roßner von Splash Entertainment sagt es ohne Umschweife: „Natürlich denken wir darüber nach, irgendwann einen Club zu eröffnen. Wir haben das auch schon ein paar Mal angepackt, aber die Finanzierung ist eben nicht ganz leicht. Denn bis man in Chemnitz wirklich alle Genehmigungen für ein Objekt hat, muss man dort schon ordentlich in den Bau investieren." Bis dahin wird's eben erstmal bei ein paar Gastspielen im Äether-Club bleiben. Zum einen mit der „Trinity", die vielleicht ein bisschen einen Vorgeschmack auf Clubkultur im Splash-Format vermittelt. Zum anderen mit der neuen Reihe „Rocken!" Dort treffen die neuen deutschen Pop-Helden auf die Soul-, Funk- und Black-Klassiker der 80er und 90er Jahre. „Ein Konzept, dass in Berlin oder Hamburg gut funktioniert. Warum also nicht in Chemnitz", fragt sich Mirko Roßner und zweifelt vorsichtshalber. Weil man doch in dieser Stadt nie so genau weiß, was geht oder nicht.
In Zwickau ist das ein wenig anders. Dort sind die Leute irgendwie aufgeschlossener, neugieriger, durchaus auch glücklich über Alternativen. So erlebte der BPM-Club seit seiner Eröffnung im März 2002 nicht wirklich schwere Zeiten, von Extra-Investitionen wegen Wasserschäden mal abgesehen.
Grundsätzlich aber funktioniert das Konzept: Independent in allen Variationen, daneben verschiedene Veranstaltungen von Hard Rock über Heavy Metal, Gothic, BigBeat bis hin zu Electro. „In Zukunft werden noch mehr Bands kommen, soll es mehr Live-Konzerte geben", sagt Marco Märtig. Und alles steht unter dem Leitspruch: „Be intelligent, be independent!" Für die BPMer ist das kein politisches Statement, sondern vielmehr die Aufforderung an das Publikum, ausgelassen und kultiviert zu feiern, ohne sich sinnlos zu besaufen oder gewalttätig zu werden. Wobei es in der Clubgeschichte bisher kaum zu handfesten Schlägereien kam. Bei einer so positiven Bilanz nach zwei Jahren, scheint es, als könnte in Zwickau noch mehr gehen.
Das dachte sich wohl auch das Team der Seilfabrik und eröffnete am 18. Dezember den ersten Techno-Club der Stadt. „Nach ein paar Parties im Frühjahr haben wir gewusst, dass das angenommen wird", erzählt Steffen. „Wir haben alle Auflagen der Stadt erfüllt und ordentlich umgebaut. Jetzt wollen wir im 14-Tage-Rhythmus bekannte DJs nach Zwickau holen und zugleich die jungen Künstler pushen. Die Seilfabrik soll zur Plattform für die Szene werden, denn das ist weit mehr als nur Musik."
Auch die Jungs vom Vinylclub Eastgermany haben nach drei Jahren Wanderschaft von Location zu Location unbändige Lust, einen eigenen Club zu eröffnen. „Wir haben lange nach einem geeigneten Objekt gesucht, aber jetzt sieht es so aus, als könnten wir im März eröffnen", verrät Marco Meyer. „In Zwickau und Umgebung gibt es einfach keine Adresse für elektronische Musik, das wollen wir ändern." Und sie werden wahrscheinlich nicht die einzigen sein, die 2005 in Zwickau für mehr Abwechslung im Nachtleben sorgen - das wird zumindest gemunkelt. Also dann: Herzlich Willkommen im Clubzeitalter. JENNY ZICHNER
Der Text ist zuerst im Stadtstreicher (Ausgabe 01/2005) erschienen.